Was hat sich seit 2011 verändert? Wir wissen, dass die Anzahl der angestellten Dolmetscher und Übersetzer seitdem kontinuierlich gewachsen ist. Das lässt sich besonders an der zunehmenden Anzahl der Stellenausschreibungen ablesen. Gesucht werden vor allem Übersetzer, Terminologie- und Projektmanager – weniger Dolmetscher. Industrieunternehmen und Dienstleister wie Banken, Versicherungen, Anwaltskanzleien und Werbeagenturen sind genauso auf der Suche wie Ämter, Behörden, Universitäten und, nicht zu vergessen, die Sprachdienstleistungsunternehmen. Die mit Abstand am häufigsten nachgefragte Sprache ist Englisch, gefolgt von Französisch. Ende 2017 waren laut Bundesagentur für Arbeit 8962 Dolmetscher und Übersetzer sozialversicherungspflichtig beschäftigt – ein Anstieg um rund 30 % seit 2011.
2011* | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | 2017 | |
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Angestellte Dolmetscher
und Übersetzer in Deutschland |
6 844 | 6 985 | 7 201 | 7 480 | 8 116 | 8 843 | 8 962 |
Bundesagentur für Arbeit: Statistik nach Berufen | *Juli 2011. Daten 2012–2017 jeweils Dezember. |
Wie viele Übersetzer und Dolmetscher 2017 selbstständig waren und wie viele davon freiberuflich, lässt sich anhand der amtlichen Statistik leider nicht ermitteln. Freiberufliche Dolmetscher und Übersetzer sind überwiegend Einzelunternehmer und arbeiten in ihrem Homeoffice, d. h. von zu Hause aus. Viele von ihnen haben sich zur Abwicklung großer und mehrsprachiger Aufträge, zur Qualitätssicherung (Vier-Augen-Prinzip), als Backup (Urlaub, Krankheit) und im Kampf gegen den Termindruck ein Kollegennetzwerk im In- und Ausland aufgebaut. Sie sind für Kollegen und Sprachdienstleistungsunternehmen oder direkt für Privatpersonen, Institutionen, Ämter, Behörden und Unternehmen aus der freien Wirtschaft tätig. Ihre Kunden sind sowohl in Deutschland als auch im Ausland ansässig.
Die Arbeitsweise ist in Abhängigkeit von mündlicher oder schriftlicher Übertragung, von Sprachkombination, Fachgebiet, Angebotspalette und Kundenstamm so unterschiedlich, wie sie nur sein kann. »Manchmal hat man das Gefühl, dass man in einer ganz anderen Branche arbeitet, wenn man den Kollegen so zuhört«, fasst es die Übersetzerin Helke Heino treffend zusammen. Einige haben sich eine Nische gesucht und spezialisiert, andere wiederum haben sich breiter aufgestellt und neue Tätigkeitsfelder wie Community Interpreting, Leichte Sprache, Postediting, Schriftdolmetschen, Transkreation, Vertonung und Untertitelung erschlossen. Eine Differenzierung erfolgt hauptsächlich über die Angebotspalette und zusätzliche Serviceleistungen wie Beratung, Organisation und Projektplanung und -management. Zertifizierte Qualität nach den gängigen Branchennormen ISO 17100, ISO 18587 und DIN 2347 ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, das freiberufliche Dolmetscher und Übersetzer dafür nutzen, sich gegenüber den Sprachdienstleistungsunternehmen zu positionieren und Direktkunden zu gewinnen.
Trotz aller Unterschiede hat die Berufsgruppe eines gemeinsam: Sie hat sich professionalisiert und setzt immer mehr Technik ein: Translation-Memory-Systeme, Diktierprogramme, computergestützte Lösungen für das Terminologie- und Wissensmanagement, Werkzeuge für Projektmanagement und kollaboratives Arbeiten, Software zur Transkription und zum Zeitmanagement ... – und in letzter Zeit auch Online-Dienste zur maschinellen Übersetzung wie DeepL und Google Translate. Dolmetscher werden beratend tätig und helfen ihren Kunden, die passende Dolmetschtechnik (Dolmetschkabine, Personenführungsanlage, Videotechnik ...) und den passenden Dolmetschmodus für ihr Anliegen zu finden. Bei größeren, mehrsprachigen Veranstaltungen organisieren sie Dolmetschtechnik und Dolmetschteams und unterstützen ihre Kunden bereits in der Planungsphase.
Die demografische Entwicklung in Deutschland wird in den nächsten Jahren für eine große Wachablösung sorgen. Ob dann die nachwachsende Generation die Lücke sowohl zahlenmäßig als auch von der erforderlichen Kompetenz her schließen kann und will, ist mit vielen Fragezeichen behaftet. Denn das Berufsbild des Übersetzers und Dolmetschers – so wie wir es heute kennen – ist dabei, sich angesichts fortschreitender Automatisierung und Digitalisierung nachhaltig zu verändern.
Die Branche »Übersetzen und Dolmetschen« hat laut Statistischem Bundesamt 2015 das erste Mal mehr als eine Milliarde Euro erwirtschaftet. Das ist gegenüber 2011 ein Anstieg um 22 %. Dabei erhöhte sich der Umsatz zwischen 2011 und 2015 jährlich um 5 %. Überdurchschnittlich stark wuchs die Branche 2016 – um ganze 11 %.
2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | |
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Umsatz (Mio. Euro) | 850 | 890 | 939 | 981 | 1 037 | 1 154 |
Anzahl Unternehmen | 6 352 | 6 610 | 6 893 | 7 908 | 8 519 | 8 659 |
Statistisches Bundesamt: Statistische Jahrbücher 2013-2018 |
Die Beschäftigungs- und Umsatzindizes von 2011 bis 2015 deuten auf einen sich stabil entwickelnden und stetig wachsenden Wirtschaftszweig hin. Von einem »explodierenden Markt« oder einer »Boom-Branche« könnte man sprechen, wenn man sich auf die Umsatzentwicklung mit einer zweistelligen Steigerungsrate im Jahr 2016 bezieht.
Das Wachstum der Branche lässt sich auch an der wachsenden Anzahl der Unternehmen festmachen. Laut Statistischem Bundesamt erhöhte sich die Anzahl der Unternehmen von 2011 bis 2016 um 36 %, während gleichzeitig der Umsatz der Branche ebenfalls um 36 % stieg. Die wachsende Anzahl der Anbieter lässt sich unter anderem mit den geringen Markteintrittsbarrieren erklären. Internetanschluss und Computer genügen, um als Sprach dienstleister an den Start zu gehen. Die Investitionskosten sind gering, es gibt keine staatlichen Beschränkungen, keinen Meisterzwang ... und Fremdsprachen professionell beherrschen muss man auch nicht. Daher ist es wenig verwunderlich, dass zunehmend Betriebswirte und Informatiker in dieser Branche Unternehmen gründen. Das sorgt für einen zunehmenden Wettbewerbsdruck – insbesondere am unteren Ende der Wertschöpfungskette.
Für 2017 und 2018 liegen noch keine offiziellen Branchenzahlen für Deutschland vor. Das hat auch damit zu tun, dass viele Unternehmen Ihre Jahresberichte noch nicht erstellt und die erforderlichen Kennzahlen eingemeldet haben. Statista prognostiziert für diesen Zeitraum weiterhin ein Wachstum – jährlich moderat zwischen 3 % und 4 %. Dafür sprechen zumindest die vom Statistischen Bundesamt für 2017 und 2018 veröffentlichten Wirtschafts- und Außenhandelszahlen, die von anhaltendem Aufschwung, Rekordüberschüssen und Exportzuwächsen gegenüber den Vorjahren künden.
Laut dem amerikanischen Marktforschungsunternehmen Common Sense Advisory (CSA) soll die Branche 2017 weltweit um 8 % gewachsen sein. Zu den drei umsatzstärksten Unternehmen der Top 100 Language Service Provider (LSP) gehören TransPerfect mit einem Umsatz von 512 Mio. Euro, Lionbridge mit 492 Mio. Euro und LanguageLine Solutions mit 376 Mio. Euro. Sie alle stammen aus den USA.
2017 konnten sich 10 deutsche Unternehmen unter den Top 100 platzieren. Jedoch schaffte es keins davon unter die ersten 20 – im Gegensatz zu Semantix aus Schweden, das mit einem Umsatz von 85,5 Mio. Euro auf Platz 14 landete und damit doppelt so viel Umsatz erzielte wie das umsatzstärkste Unternehmen aus Deutschland, Kern Global Language Services. Språkservice Sverige (49,8 Mio. Euro) und Transvoice Sweden (29,3 Mio. Euro) sind zudem deutlich umsatzstärker als 9 der 10 deutschen Unternehmen in den Top 100.
Unternehmen | Umsatz 2017
(Mio. Euro) |
Feste MA | Freie MA | Ranking CSA | BS 2017 (Mio. Euro) |
Umsatz/BS | Zertifiziert | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Kern Global Language Services | 42,8 | 255 | k. A. | 14 | 6,6 | 6,5 | ISO 9001,
ISO 17100 |
|
Wieners+Wieners | 19,4 | 80 | > 1000 | 45 | 3,9 | 5 | registriert | |
24translate | 14,7 | 150 | > 700 | 52 | – | – | ISO 9001,
ISO 17100 |
|
NLG | 14,0 | 108 | k. A. | 54 | 4,0 | 3,5 | ISO 9001,
ISO 17100, ISO 27001 |
|
Transline Gruppe | 12,7 | 100 | 5000 | 57 | – | – | ISO 9001,
ISO 17100, ISO 27001 |
|
Institut für
technische Literatur |
11,0 | 105 | 2300 | 62 | 3,5 | 3 | ISO 9001,
ISO 17100 |
|
Mt-g. Medical
Translations |
10,5 | 72 | k. A. | 65 | 2,9 | 4 | ISO 9001,
ISO 17100 |
|
Beo Gesellschaft für
Sprachen und Technologie |
8,7 | 94 | k. A. | 75 | 1,4 | 6,2 | ISO 9001 | |
Tolingo | 7,5 | 61 | 6 000 | 82 | 1,5 | 5 | ISO 9001,
ISO 17100, ISO 27001 |
|
Tetras | 6,2 | 95 | 1 080 | 91 | 0,3 | 19 | ISO 9001,
ISO 17100 | |
BS = Bilanzsumme | MA = Mitarbeiter | k. A. = keine Angabe | Die Jahresabschlüsse für 2017 liegen von einigen Unternehmen noch nicht vor. |
Nach Umsatz und Anzahl der Mitarbeiter gehören von den 10 deutschen Sprachdienstleistern 7 zu den mittelständischen Unternehmen.
3 Sprachdienstleister ordnen sich bei den kleinen Kapitalgesellschaften ein. Das Verhältnis von Bilanzsumme und Umsatz bewegt sich zwischen
dem Drei- und Fünffachen (wenn man den Ausreißer Tetras außen vor lässt). Zusammen erwirtschafteten die 10 deutschen bei CSA gelisteten Unternehmen 2017 einen
Umsatz von 0,14 Mrd. Euro. Das entspricht 12 % des 2016 in Deutschland erzielten Branchenumsatzes von 1,15 Mrd. Euro.
Deutsche Sprachdienstleiter sind zum großen Teil nach wie vor Ein-Mann-Betriebe, die auf die Zusammenarbeit mit freiberuflichen Dolmetschern und Übersetzern angewiesen sind. Lediglich 300 bis 500 deutsche Sprachdienstleister beschäftigen nach Aussage von Richard Schneider (Uepo, 2016-06-19) mehr als einen Mitarbeiter. Die Zahl der zuarbeitenden Freiberufler bewegt sich dabei zwischen mehreren Hundert bis mehreren Tausend.
Nach wie vor besteht die Branche »Dolmetschen und Übersetzen« überwiegend aus kleinen und kleinsten Unternehmen und ist stark fragmentiert. Gegenüber 2011 zeichnet sich eine erste Marktkonzentration durch Konsolidierungs- und Wachstumsprozesse ab: Umsatzstarke Mittelständler sind entstanden und größere Kapitalgesellschaften beginnen, sich zu formieren. Neben dem organischen Wachstum haben dazu insbesondere Aufkäufe und Zusammenschlüsse sowie der Einstieg von Finanzinvestoren beigetragen.
So hat zum Beispiel Transline nach dem Einstieg von Lead Equities im Jahre 2014, 2016 die Übersetzungsabteilung von KE-Communication übernommen und ist damit von Rang 5 der umsatzstärksten Sprachdienstleister in Deutschland auf Rang 3 geklettert (Uepo, 2016-07-25). 2018 folgte dann die Übernahme des SAP-Übersetzungsspezialisten Wordflow aus Walldorf.
Ebenso durch Investitionen und Zukäufe stark gewachsen ist Wieners+Wieners. Zuerst erwarb man 2014 das Sprachkontor Hamburg. Dann schloss man sich 2017 mit der schweizerischen Apostroph-Gruppe zusammen, und im September 2018 wurde der Zusammenschluss mit López-Ebri-Fachübersetzungen aus Bremen verkündet. 2016 war bereits German Equity Partners – ein von der deutschen Beteiligungsgesellschaft ECM Equity Capital Management verwalteter Fonds – bei Wieners+Wieners eingestiegen und hatte die Mehrheit der Anteile erworben.
Auch Neugründungen wie die von Tolingo haben dank der Beteiligung von Finanzinvestoren erheblich an Fahrt gewonnen. Der 2007 in Hamburg gegründete Online-Übersetzungsdienstleister hat sich innerhalb kurzer Zeit am Markt etabliert und ist zu einem umsatzstarken Mitspieler herangewachsen, der erstmals 2016 zu den Top 100 der Language Service Provider gehörte.
Von den 10 deutschen Sprachdienstleistern in den Top 100 sind 8 nach der internationalen Übersetzungsnorm ISO 17100 zertifiziert und haben ein nach ISO 9001 zertifiziertes Qualitätsmanagement. Wieners+Wieners erklären, dass sie nach ISO 17100 arbeiten, und haben sich bei DIN CERTCO registrieren lassen. Zudem sind sie Mitglied im QSD, dem Verband der Qualitätssprachendienste Deutschlands, dem 33 ordentliche Mitglieder (Stand 2018-10-15) angehören. Für klar definierte und effiziente Prozesse zu sorgen und die Qualität nicht dem Zufall zu überlassen, ist bei steigendem Zeit-, Preis- und Volumendruck in der Branche von hoher Bedeutung, wenn man sich auf dem Weltmarkt behaupten will.
Um stetig wachsende Volumina bei anwachsender Sprachenvielfalt schnell und kosteneffizient zu bearbeiten, werden Übersetzungen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) angefertigt. Das maschinelle Übersetzen hat Einzug in den Alltag der Branche gehalten. »2018 ist eindeutig das Jahr der maschinellen Übersetzung (MT). Dies ist das erste Jahr, in dem mehr als die Hälfte der Befragten angibt, dass sie die Technologie auf die eine oder andere Weise nutzen«, verkündete Rudy Tirry, Präsident der EUATC, bei der Bekanntgabe der Ergebnisse des 2018 Language Industry Survey. 22 % der 298 befragten Sprachdienstleister gab an, MT bereits täglich einzusetzen. Dagegen nutzen 31 % MT noch gar nicht. Auch wenn in der Branche die Anwendung von KI noch in den Kinderschuhen steckt und sich auf maschinelle Übersetzungen beschränkt, wird sie in absehbarer Zeit auch auf andere Unternehmensbereiche übergreifen (Marketing, Vertrieb, Kundenmanagement ...) und den Arbeitsalltag in der Branche prägen und sie maßgeblich verändern.
In den kommenden Jahren wird die Konsolidierung der Branche in Deutschland durch Aufkäufe und Fusionen und den altersbedingten Austritt von Akteuren weiter voranschreiten. Das kann zu einem stagnierenden bis hin zu einem leicht rückgängigen Umsatz in der Branche führen, der sich laut einer Prognose von Statista für 2019 und 2020 abzeichnet. Dabei sind noch nicht die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen berücksichtigt, die auf turbulente Zeiten und eine Eintrübung der weltweiten Konjunktur – manche sprechen von einer Rezession – hindeuten.
Auch der technologische Wandel wird in der Branche seine Spuren hinterlassen. Das Potential für Kosteneinsparungen und weitere Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung und Automatisierung ist unübersehrbar. Dadurch werden die Übersetzungskosten (weiter) sinken und sich der Druck auf die Preise (weiter) erhöhen. Ob es dadurch insgesamt weniger Arbeit für Übersetzer und Dolmetscher gibt, ist fraglich. Auf der einen Seite erhöht sich die Produktivität, sodass mehr Aufträge in derselben Zeit erledigt werden können. Auf der anderen Seite soll der Bedarf an externen Sprachdienstleistungen weiter wachsen und das weltweite Marktvolumen bis 2021 auf 56 Mrd. USD steigen, so Common Sense Advisory in einer Pressemitteilung. Ob diese beiden gegenläufigen Tendenzen sich letztlich dahingehend auswirken, dass es für Übersetzer mehr zu tun geben wird, ist schwer vorherzusagen. Einige Branchenverbände befürchten, dass insbesondere die Nachfrage nach Dolmetschleistungen sinken wird (Facköversättaren, Ausgabe 4/2017).